Freitag, 3. Juli 2009

Über Muscheln und Menschen

Hier ein Auszug aus Topothesie von Gunter Dueck, ISBN 3-540-21464-X. Ein wahres Stück über das Leben von Muscheln und Menschen...
[...] Erst knapp nach der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert gelang es in Japan die ersten brauchbaren Zuchtperlen zu ziehen. In die Muscheln (vorzugsweise Mississippi-Austern) gibt man einen Perlmuttkern zusammen mit einem Stück Mantelschleimhautgewebe einer anderen (geopferten) Auster hinein, bindet sie wieder fest zu, damit der Kern nicht abgestoßen wird, und wartet.
  • Zwanzig Prozent sterben.
  • Dreißig Prozent stoßen den Kern erfolgreich aus.
  • Zwanzig Prozent schaffen es, ganz kleine, ziemlich wertlose Perlen auszuscheiden.
  • Dreißig Prozent erzielen vernünftig gute Perlen, eine oder zwei von hundert sind richtig schön.
[...]
Menschen sorgen für Nahrung und ruhen in der Sonne und leben. Manchmal erschaffen Menschen aber Großes, wenn sie durch Gier oder Rache getrieben wuden, wenn sie geschmäht waren oder nicht repektiert oder geliebt wurden. Das sahen die Klugen und überlegten, wie man den Menschen züchten könnte, dass er viel leiste. Sie gaben den Menschen schwerste Aufgaben gegen Versprechen für Respekt, Würde, Liebe oder Geld. Sie stachelten sie an. Da bemühten sich die Menschen, hart zu arbeiten, ohne Ansehen des Schmerzes, der Ihnen aus dem auferlegten Kern erwuchs. Die Freude derer, die ein Werk erschafften, ließ sie allen Schmerz vergessen und veredelte ihren Persönlichkeitskern auf['s] feinste.
  • Zwanzig Prozent starben vor Schmerz.
  • Dreißig Prozent entkamen ins alte genügsame Leben.
  • Zwanzig Prozent wurden für brauchbares gelobt.
  • Dreißig Prozent schufen ein Werk, und ein oder zwei von hundert erstrahlten hell.
Muschelkultur hat nur geringe Ausbeute.
Menschenkultur auch.
[...]
Und welcher Typ Muschel bist Du?